Warum Intelligenz nicht vor Fehlentscheidungen schützt:
Wie Bill Gates einen 1,7 Mrd. Dollar schweren Denkfehler machte

Stellen Sie sich einmal folgendes vor: Sie sind der Bürgermeister einer kleinen Stadt. Sie sitzen gerade an Ihrem Schreibtisch, als Ihr Sekretär das Büro betritt, um Ihnen etwas mitzuteilen: „Herr Bürgermeister, wir müssen dringend über unsere Feuerwehr sprechen. Eben habe ich folgende Statistik bekommen: Je mehr Feuerwehrleute wir zu einem Brand schicken, umso höher sind am Ende die Kosten der Brandschäden. Eigentlich sind alle Feuerwehrmänner gut ausgebildet, aber ich glaube unsere Feuerwehr geht falsch vor. Wir müssen dringend was tun.“

Als Leader müssen Sie nun eine Entscheidung treffen. Sind die Feuerwehrmänner vielleicht doch ungeeignet und sollten ausgetauscht werden? Oder verhalten Sie sich im Einsatz einfach nicht so wie es sein müsste? Kann es sein, dass viele Feuerwehrleute einfach schlechter zusammenarbeiten als wenn nur ein kleines Team vor Ort ist? So wie viele Köche eben den Brei verderben? Im Endeffekt haben Sie ja nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, oder? Entweder Sie schicken alle Feuerwehrleute nochmal zur Schulung und schauen, ob ein paar wirklich nicht so geeignet sind. Oder Sie bestimmen, dass in Zukunft auch bei größeren Bränden weniger Feuerwehrleute an den Einsatzort fahren sollen.

Doch beides wäre falsch. Unser Gehirn ist nicht dafür gemacht, Korrelationen und Kausalitäten gut zu analysieren. In diesem Fall liegt es nicht daran, dass die Feuerwehrleute schlecht ausgebildet sind oder „viele Köche den Brei verderben“. Es handelt sich schlichtweg um eine andere Kausalität. Bei großen Bränden sind die Kosten der Brandschäden automatisch höher. Und natürlich sind bei großen Schäden auch mehr Feuerwehrleute im Einsatz. 

Die falsche Kausalität ist eines der Phänomene, die vor allem in unserer komplexen Welt für Denkfallen sorgt. Und leider auch für fatale Entscheidungen. Privat, beruflich und politisch.

Vielleicht sind sie der Denkfalle jedoch nicht auf dem Leim gegangen. Vermutlich denken Sie, das hätte etwas mit Ihrer Intelligenz zu tun. Das folgende Beispiel zeigt jedoch sehr eindrucksvoll, dass Intelligenz keine wirksame Rüstung gegen Denkfallen ist. Sie können auch hier gerne wieder miträtseln.

Vor einigen Jahren wollte die Stiftung von Bill und Melinda Gates die Bildung junger Menschen finanziell unterstützen. Das Geld sollte aber nur in die Schulen gesteckt werden, die aufgrund ihrer Struktur auch gute Schüler hervorbringen. Somit wurde eine Studie in Auftrag gegeben. Ziel: Die erfolgreichsten Schulen identifizieren. 1.600 Schulen in Pennsylvania wurden untersucht. Das Ergebnis: Sechs der besten fünfzig Schulen waren klein. Im Verhältnis zur Gesamtverteilung zwischen großen und kleinen Schulen hieß das folgendes: Es war viermal so wahrscheinlich, dass eine der Top-Schulen eine kleine Schule war. Logische Schlussfolgerung der Gates-Stiftung: Wir fokussieren unsere Spenden auf kleine Schulen. Denn diese sind am effektivsten. Insgesamt 1,7 Milliarden US-Dollar wurden daraufhin in genau diese Schulen gesteckt.

Was denken Sie? Bringen kleine Schulen bessere Schüler hervor? Intuitiv würden wir alle Ja sagen. In kleinen Schulen gibt es kleinere Klassen und somit wird jeder Schüler individueller betreut. Logisch, dass dort auch überdurchschnittlich viele gute Schüler hervorgebracht werden. Leider basiert diese so plausibel klingende Geschichte auf falschen Fakten. Zwar waren kleine Schulen bei den Top-Schulen überdurchschnittlich repräsentiert. Doch kleine Schulen sind nicht besser als große Schulen. Sie fallen nur häufiger in Extreme. Hätte die Gates-Stiftung eine Studie in Auftrag gegeben, die herausfinden sollte, welche Schulen besonders schlecht sind, wären kleine Schulen ebenfalls überdurchschnittlich oft repräsentiert gewesen.
Der Grund: Je kleiner eine Schule, umso kleiner auch die Stichprobe und umso eher kann es passieren, dass zufälligerweise überdurchschnittlich viele Schüler in einer Klasse sehr gut oder sehr schlecht sind. Das lässt sich ganz leicht erklären: Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Kiste mit 10 roten und 10 blauen Murmeln, aus der Sie nacheinander immer eine Murmel ziehen. Ihr Ziel ist es, so oft wie möglich die gleiche Farbe zu erwischen. Je seltener Sie ziehen, umso größer ist ihre Chance. Wenn Sie zweimal ziehen, kann es gut sein, dass Sie zweimal rot ziehen. Bei dreimal ist die Wahrscheinlichkeit dafür schon ein bisschen kleiner. Wenn Sie zehnmal ziehen, ist die Wahrscheinlichkeit, immer die gleiche Farbe zu ziehen, minimal.
So ist es auch mit den Schülern: In einer kleinen Klasse ist es wahrscheinlicher, dass Sie im Schnitt mehr gute Schüler finden als in einer großen Klasse. Aber es ist eben auch wahrscheinlicher, überdurchschnittlich viele schlechte Schüler zu finden. Je kleiner die Stichprobe umso eher gibt es extremere Ergebnisse.

Es gibt nur eine Möglichkeit derartige Denkfallen zu vermeiden: Wir müssen sie kennen. Insgesamt gibt es etwas über 100 dieser Denkfallen, die wissenschaftlich erforscht sind. Doch das Gute ist: Die meisten haben ähnliche Ursachen. Oftmals stecken die gleichen Grundirrtümer hinter den spezifischen Denkfallen. Wie Sie mit einer der häufigsten Denkfallen, nämlich der Kausalitätsfalle umgehen, möchte ich Ihnen noch kurz mitgeben:

Wir Menschen neigen dazu, Korrelation und Kausalität zu vertauschen. Das ist dem Bürgermeister in dem oben beschriebenen Feuerwehr-Fall passiert. Es gibt drei Gründe, warum wir der Kausalitätsfalle auf den Leim gehen:

Erstens, wenn wir Ursache und Wirkung vertauschen. So haben zum Beispiel wissenschaftliche Studien herausgefunden, dass längere Krankenhausaufenthalte schädlich für Patienten sind. Wer länger im Krankenhaus blieb, war schlimmer krank. Eine Steilvorlage für Krankenkassen, die aus Kostengründen natürlich für schnellere Entlassungen werben. Allerdings wurde hier Ursache und Wirkung vertauscht. Die Patienten wurden nicht kränker, weil sie länger im Krankenhaus blieben, sondern sie blieben länger im Krankenhaus, weil sie von Haus aus kränker waren. Achten Sie also immer darauf, in welche Richtung die Kausalität geht.

Zweitens, kann es passieren, dass eine dritte Variable für die Korrelation verantwortlich sein kann. So zeigten Studien, dass junge Raucher seltener an Corona erkranken. Ein Beweis für die Abwehrkräfte von Nikotin bei jungen Menschen? Wohl kaum. Auch wenn es noch keine abschließende Erklärung gibt, besteht folgende Vermutung: Junge Menschen stecken sich hauptsächlich auf Partys, in Bars und Diskotheken an. Da Raucher ständig an die frische Luft zum Rauchen gehen, sinkt das Risiko einer Ansteckung. Überlegen Sie also insbesondere bei überraschenden Korrelationen immer, ob sich nicht in Wahrheit eine dritte, versteckte Variable dahinter verbirgt. 

Drittens, gibt es auch Korrelationen, die rein zufällig sind. Der Fußballer Neymar war die letzten Jahre immer am Geburtstag seiner Schwester verletzt und somit nicht einsatzfähig. Ein Beweis dafür, dass er seinen Job schwänzt, um mit seiner Schwester feiern zu können? Wohl eher nicht. Es gibt etliche Fußballer, die ebenfalls mehrere Jahre in Folge zur selben Zeit verletzt waren. Es wäre viel erstaunlicher, wenn ein Fußballer nie zufällig in der Zeit verletzt wäre, in der ein Familienmitglied Geburtstag hat. Denken Sie also immer daran: Wenn Sie die Behauptung aufstellen, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen zwei Ereignissen gibt, müssen Sie auch in der Lage sein, ihre Aussage zu beweisen. Andernfalls ist es sehr wahrscheinlich, dass es sich einfach nur um einen Zufall handelt.